Die Werke des Künstlers
Der 1926 in Quimper geborene Bretone Jacques Villeglé, dessen vollständiger Name Jacques Mahé de la Villeglé lautet, beginnt 1944 eine Ausbildung als Maler an der Kunstakademie in Rennes. Dort lernt er Raymond Hains kennen. Ihre Unzufriedenheit mit der akademischen Ausbildung und die damit verbundene Außenseiterposition führt sie zusammen und lässt sie Freunde werden. Villeglé wechselt zur Architektur und geht nach Nantes, Hains bricht das Studium ab und zieht nach Paris. Aber auch mit der Architektur ist Villeglé nicht glücklich. Lieber sammelt er auf langen Spaziergängen am Atlantik Fundstücke, die er zu Skulpturen zusammenfügt. Darunter sind beeindruckende Werke aus Stahl- und Eisendraht, von denen er Hains in seinen Briefen berichtet. Hains hat inzwischen den anonymen Plakatabriss der Straße als künstlerische Manifestation entdeckt. Erst fotografiert er ihn nur, dann reißt er ihn ab und klebt ihn auf Leinwand.
Jacques de la Villeglé, starb am Pfingstmontag, 2022 im Alter von 96 Jahren in Paris. Insbesondere seine Plakatabrisse haben Generationen von Künstlern geprägt und vor allem die Bewegung der Street Art beeinflusst.
1949 kommt auch Villeglé nach Paris, und die beiden praktizieren in den folgenden fünf Jahren bis 1954 die Strategie des künstlerischen Plakatabrisses gemeinsam. Ihre erste vierhändige Arbeit ist Ach Alma Manetro, so genannt nach den Wortfragmenten, die auf dem Abriss auftauchen. Während Villeglé den Plakatabriss auch in den folgenden Jahren und Jahrzehnten als seine künstlerische Lebensaufgabe betrachtet, wendet Hains sich im Folgenden stärker Werken zu, in denen er mit der Dekonstruktion von Sprache arbeitet. Beide stehen in einer bewusstseinskritischen Kunsttradition, die auch die anderen Plakatabreißer, François Dufrêne und der Italiener Mimmo Rotella, teilen. Dufrêne favorisiert bei seinen Abrissen die „malerischen“ Rückseiten der Plakate, Rotella reißt im Gegensatz zu den Pariser Affichisten seine Plakate um des von ihm gewünschten Effektes willen lieber selbst ab, statt die Aufgabe anonymen Passanten zu überlassen.
Solch eigenmächtige Eingriffe sind für Villeglé völlig ausgeschlossen. Für ihn liegt der künstlerische Wert des Abrisses gerade in seiner anonymen Bearbeitung. Nur dadurch wird er zum authentischen Zeugnis seiner Zeit.
In den Bildern, die durch die Abrissakte der Passanten sichtbar werden, mischen sich die unterschiedlichsten Stimmen. Das Gestern begegnet dem Heute, der Revolutionär dem Reaktionär, der Konsum seiner Kritik, der Kapitalismus seiner Unterwanderung.
Der Kritiker Benjamin Buchloh hat in einem Essay zur Bedeutung des Plakatabrisses hervorgehoben, dass er vielleicht „die am meisten unterschätzte und missverstandene künstlerische Aktivität im Europa der Nachkriegszeit“ ist.
Genau dieses künstlerische, aber auch gesellschaftskritische Potenzial des Plakatabrisses ist es denn auch, das Villeglé dieses Verfahren seit mehr als fünf Jahrzehnten hat praktizieren lassen. Inzwischen ist sein Werkverzeichnis in sieben Bänden erschienen, in denen die Abrisse nach unterschiedlichen Kategorien klassifiziert sind, die sowohl ihre inhaltliche, politische und sozioökonomische als auch ihre formale, malerische und typografische Qualität herausheben. In der Ausstellung der Stiftung Ahlers Pro Arte / Kestner Pro Arte finden sich exzellente frühe Abrisse aus den fünfziger und sechziger Jahren. Sie vermitteln in ausgezeichneter Weise, was Villeglé im Rückgriff auf Balzacs comédie humaine als comédie urbaine bezeichnet hat.
Michael Stoeber
1998 ersteht das Museum für Moderne Kunst in Paris das erste Werk von Villeglé.
Seit 2013 arbeitet L’Estampe mit Villeglé zusammen.
Austellungen (Auswahl seit 2000)
2011
Modernism, San Francisco
Matisse Art Gallery, Casablanca & Marrakech, Maroc
Trajectoire Urbaine, Alexia Goethe Gallery, Londres, Angleterre
2010
La peinture dans la non peinture, galerie Georges-Philippe & Nathalie Vallois, Paris
2009
Petits formats 1958-2002, galerie Georges-Philippe & Nathalie Vallois, Paris
Vacanze Romane, Galleria Mucciaccia, Rome, Italie
2008
Galleria Agnellini Arte Moderna, Brescia, Italie
Modernism, San Francisco, U.S.A
Alan Koppel Gallery, Chicago, U.S.A.
De la transgression à la collection 1947-2008, Musée départemental, Épinal
La Comédie urbaine, MNAM, centre Pompidou, Paris
2007
Stiftung Ahlers/Kestner Pro Arte, Hanovre
ArtParis 07 – Guy Pieters Gallery, Grand Palais, Paris
Graphismes sociopolitiques, Lucien Schweitzer, Luxembourg
Il Décollage di un grande maestro, Vecchiato New Art Galleries, Padoue, Italie
La Lettre lacérée, Galerie Georges-Philippe & Nathalie Vallois, Paris
2006
Museo de la Ciudad, Valence, Espagne
Le Quartier, Quimper
École d’arts plastiques, Châtellerault
Décollages & Drawings, Modernism, San Francisco, U.S.A.
Early Works – 1960-1970s, Alan Koppel Gallery, Chicago, USA
Jacques Villeglé, Le Quartier, Quimper
Jacques Villeglé & l’Atelier d’Aquitaine, Guy Pieters Gallery, Knokke, Belgique
Jacques Villeglé La Pelle della cittá, Tonelli Galleria d’Arte Moderna, Milan, Italie
2005
Arsenal, Metz
Politiques, galerie Georges-Philippe & Nathalie Vallois, Paris
Villeglé sur les pas de Nestor Burma, Galerie Sonia Zannettacci, Genève, Suisse
2004
L’Art est fait par tous et non par un, Centre d’art contemporain, Istres
Le Chaos Socio-Politique, Galerie d’Art contemporain, les Urbanistes, Fougères
2003
Centro Cultural Recoleta, Buenos Aires, Argentine
Modernism, San Francisco, U.S.A.
Alphabet sociopolitique, musée Sainte-Croix, Poitiers
Héraldique de la subversion, Musée d’art contemporain, Lyon
Jacques Villeglé ravisseur d’affiches, La Cohue, Vannes
Sans lettre-sans figure, galerie Georges-Philippe & Nathalie Vallois, Paris
2002
Jacques Villeglé, Château de la Briantais, Saint-Malo
2001
Mayor Gallery, Londres, Grande-Bretagne
Chac Mool Gallery, Los Angeles, U.S.A.
Décentralisation 3, F.R.A.C. Corse, Corte
Images, galerie Georges-Philippe & Nathalie Vallois, Paris
Jacques Villeglé, Galerie espace-expo, Betton
Works of protest 1960s-1990s, Alan Koppel Gallery, Chicago
2000
Dans la rue – Jacques Villeglé & Pierre Henry, Cité de la Musique, Paris